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Trebur 1076/77 Gang nach Canossa

Während der zweiwöchigen Fürstenversammlung, die ab 16. Oktober 1076 in Tribur gehalten wurde, entschloss sich König Heinrich IV. über die schneebedeckten Alpen nach Canossa zu reisen, um Buße zu tun. Begleitet wurde er von seiner Gemahlin Berta von Turin und seinem zweijährigen Söhnchen Konrad und einer 50 Mann starken Gefolgschaft.

In den bitterkalten Januartagen 1077 zogen sie los. Nach einem kurzen Aufenthalt in Bertas Heimatstadt Turin ging es weiter in die Lombardei, dann südostwärts nach Canossa. Ein gewagtes Unternehmen, bei klirrendem Frost, dazu unter gehörigem Zeitdruck. Heinrich wollte mit aller Macht erzwingen, dass der Kirchenbann, den Papst Gregor VII. über ihn verhängt hatte, gelöst wird. Der Kirchenbann, seine Verstoßung aus der Kirche, dauerte schon fast 12 Monate und das Ultimatum des Jahrestages war bald abgelaufen.

Im Mittelalter hatte die römisch-katholische Kirche eine außerordentlich große Bedeutung. Papst Gregor VII. ließ 1075 seine Reformen in 27 Thesen im "Dictatus Gregorii Papae" zusammenfassen. Er wollte, anders als die bisherige Weltordnung war, alleine unumschränkter Herrscher, oberster Herr der Welt sein, selbst Bischöfe benennen und Bistümer vergeben, sowie Kaiser absetzen und weltliche Untertanen vom Treueeid lösen können. So untersagte Papst Gregor VII. tadelnd, am 8. Dezember 1075 in einem unverhüllten Brief dem jungen König jede Einmischung in seine Angelegenheiten. Mündlich wurde Heinrich dazu übermittelt, dass er nicht die ersehnte Kaiserkrönung zu erwarten habe, sondern den Ausschluss aus der Kirche und seine Absetzung, falls er sich nicht unverzüglich dem päpstlichen Willen unterwerfe und Buße tue.

Wurden doch bis 1075 Könige bei der Königskrönung und vollzogener Salbung zum "Priesterkönig" nach alttestamentlichem Vorbild und konnten so diese Macht für sich alleine beanspruchen. Heinrich wurde 1053, als Dreijähriger, in der Kaiserpfalz Tribur, dem heutigen Trebur, zum König gewählt. Als dessen Vater, Kaiser Heinrich III. verstarb, war er als Nachfolger gerade mal sechs Jahre alt. Heinrich IV. fühlte sich später aus Berufung, Würde und aus Gottesgnadentum ererbter König und widersetzte sich unbedingtem kirchlichem Gehorsam. Ihm war es unerträglich, als Gebannter zu leben und zu regieren.

Den Brief des Papstes und dessen Drohungen erhielt er am Neujahrstag 1076 in seiner Pfalz Goslar bei einem glanzvollen Hoffest, nach dem errungenen Sachsensieg. Die Wucht dieser Nachricht: der König "vom Leibe der Kirche abgetrennt" durch das Schwert des Kirchenbanns, wie Chronisten vermerkten, "ließ das gesamte römische Erdreich erzittern". Denn noch bis zu der Synode in Worms, zu Beginn 1076, an der neben weltlichen Fürsten auch 24 deutsche Bischöfe und zwei weitere Bischöfe aus Italien und Burgund teilnahmen, schwebte Heinrich in einem Hochgefühl.

Eine unmögliche Situation war entstanden. Der Papst war wegen angeblicher Amtsanmaßung vom König und den deutschen und oberitalienischen Bischöfen abgesetzt worden. Heinrich, der Herrscher des römischen Reiches, wegen mangelnden Gehorsams gegenüber dem Papst, mit Billigung seiner eigenen Fürsten, vom Thron gestoßen. Eine Gefahr für Leib und Leben entstand für jeden, der König Heinrichs Befehle befolgte. Zwei seiner Verbündeten mussten das in kürzester Zeit erfahren und aus dem Leben scheiden. Der Bischof von Utrecht, als geistlicher Mitstreiter, starb an einer qualvollen Krankheit, kurz nachdem er von der Kanzel den Papst im Auftrag des Königs exkommuniziert hatte. Heinrichs militärischer Helfer, der Herzog von Niederlothringen, wurde hinterrücks erstochen.

Doch mit dem Antwortbrief an den Papst, den Heinrich nicht mehr mit offiziellem Titel, sondern mit "Bruder Hildebrand", dessen Geburtsname, anredete und als falschen Mönch bezeichnete, ihm eine anrüchige Wahl und einen gebrochenen Eid vorwarf, stellten sich plötzlich einige Fürsten, allen voran Otto von Northeim, gegen den jungen König, was als Vergeltung für den Sachsenkrieg gewertet wurde. Das Blatt wendete sich. Fürsten und Herzöge beanspruchten inzwischen mehr persönlichen Einfluss auf die Regierung.

Mit heftigen Worten wollte Heinrich mit all seinen ihm zugetanen Bischöfen die deutsche Öffentlichkeit beeindrucken und den Heiligen Vater denunzieren. Einen diesbezüglichen Brief ließ er durch Boten im Land verteilen und vorlesen. Demzufolge lagen in diesen knapp zwölf Monaten des Kirchenbanns, die schlimmsten gegenseitigen Anschuldigungen und Intrigen.

Einen Brief in abgeschwächter Form erreichte den Papst in der römischen Salvatorkirche bei der Eröffnung der Fastensynode. Hier hatte Gregor VII. hochrangige Kleriker versammelt, um sein Reformprojekt und die erstrebte Universalgewalt des römischen Bischofs, der er war, darzustellen. Die Antwort des Papstes musste sich Heinrich gefallen lassen. Ein Gebet, das der Papst zum Abschluss der Synode hielt, besagte, dass Heinrich die Leitung des ganzen Reiches untersagt wurde, alle Christen vom Bande des Eidschwurs, den sie ihm geleistet hatten, befreit waren und ihm niemand mehr dienen durfte. Somit bot der päpstliche Urteilsspruch der Opposition die außerordentliche Möglichkeit, in Erwägung zu ziehen, einen neuen, besseren König zu wählen.

Obwohl der 26-jährige König auch in Italien viele treue Anhänger wusste, hatte er nicht die Größe sich kompromissbereit seinen Gegnern zu zeigen. Galt es doch, den in seinen Augen "rangniederen Papst" zu bezwingen, obgleich ihm bewusst war, dass seine eigenen Chancen gering waren.
 

In arger Zeitnot strebte er mit kleinem Gefolge an, das Vorhaben des Papstes zu vereiteln, da dieser zeitgleich von Rom aus nach Deutschland aufgebrochen war, um gleich zu Beginn der Fürstentage, am 2. Februar, in Augsburg Gericht zu halten. Ein Taktieren, des eher gebrechlichen 60-jährigen Papstes, gegen den unberechenbaren jungen Monarchen, der erst kurz zuvor einen brutalen Krieg gegen die Sachsen geführt hatte.

Papst Gregor, der bisher hart für eine Reform seiner Kirche gekämpft hatte, konnte sein Lebenswerk, grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse, jedoch nur durch die Einsicht und Unterstützung des Königs vollenden. Die Weltordnung war ins Wanken geraten. Zug um Zug verschob sich die Balance von weltlicher und religiöser Herrschaft.

So wurde in Ulm, im September 1076, eine Fürstenversammlung für den 16. Oktober in Tribur einberufen, um alle anstehenden Fragen zu behandeln; beschlossen in Anwesenheit zweier päpstlicher Legaten, den Herzögen Rudolf von Schwaben, Welf von Bayern, Berthold von Kärnten, Bischof Adalbert von Worms und Bischof Adalbero von Würzburg. Die päpstlichen Legaten waren keine Römer, sondern Deutsche am Hofe des Kaiser Heinrichs III., als Verbindungsglied Papst Gregors.

Die Tage von Tribur kamen. Heinrich IV. lagerte auf der gegenüberliegenden Rheinseite in seiner Pfalz Oppenheim. Seine Macht hatte sich seit der Synode von Worms sehr verändert. War er damals noch im Hochgefühl an der Spitze einer Reichsversammlung, Richter über den Papst und in Erwartung der Kaiserkrone, musste er nun erleben, dass seine treuesten Anhänger sich von ihm abwandten. Mit falschen Versprechungen versuchte er in seiner aussichtslosen Lage Verzichtserklärungen seiner Macht abzugeben. Ein Entschuldigungsschreiben, mit reuevollen Worten und Eingeständnissen und dem Versprechen Buße zu tun, wurde verfasst und den päpstlichen Legaten, die in Tribur vertreten waren, mit nach Rom gegeben. Nur so war eine Neuwahl zu verhindern, wusste Heinrich. Bischof Benno von Osnabrück als einer der 26 Bischöfe, die ein Jahr zuvor den Absetzungsbrief an Papst Gregor mit unterzeichneten, bewies als Mann des Ausgleichs sein diplomatisches Geschick, indem er Heinrich den Rat zum "Gang nach Canossa" gab.

Diese dramatische Entwicklung veranlasste Heinrich IV. die Alpenüberquerung des Papst Gregor VII. zu verhindern, um noch in Italien mit ihm eine Versöhnung herbei zu führen. Auf weIche Art auch immer.

Notgedrungen, durch Heinrichs unvermuteten Entschluss, unterbrach Papst Gregor seine Reise zum Reichstag nach Deutschland, um auf der Burg seiner Vertrauten Markgräfin Mathilde von Tuszien-Canossa, in der Emilia Romagna, Quartier zu nehmen. In dieser oberitalienischen Apenninenfestung, die gesichert war durch einen dreifachen Mauerring, sollte nun erwartungsgemäß der Gang der Geschichte verändert werden. Fast zeitgleich traf Heinrich IV. am 21. Januar 1077 mit seinem Gefolge in der zwei Stunden entfernten Burg von Bianello ein, die ebenfalls Mathilde gehörte.

Aufhalber Strecke, in der Nikolauskapelle von Montezane, trafen sich mehrfach die Unterhändler, um alle Möglichkeiten auszuloten. Musste Heinrich selbst schwören oder einen Stellvertreter bestimmen? Waren seine Lehnsmänner an ihre Treueeide gebunden, wenn die Kirche ihn wieder in Gnaden aufnahm?

Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte Markgräfin Mathilde Tuszien-Canossa, die Gastgeberin von beiden, als Vertraute von Gregor VII. und Cousine von Heinrich IV. in dieser prekären Situation vermittelt. Angeblich soll Heinrich bei ihr mit einem Fußfall um Fürsprache bei Papst Gregor gebeten haben.

Am 25. Januar, dem Tag des Gedenkens, als Saulus zu Paulus wurde, gab sich der König einen Ruck. Nach abermaligen erfolglosen Verhandlungen in Montezane folgte er den tiefen Spuren im Schnee den Vermittlern des Papstes zum Dorf Canossa. An der Ostseite des Festungfelsens stieg er den Burgpfad und eine steinerne Treppe empor, um reuevoll und unter Tränen vor den überraschten Papst zu treten und ein Schuldbekenntnis abzulegen.

Auf den letzten Metern vor Papst Gregor zog sich Heinrich Schuhe und Strümpfe aus und streifte sich ein Büßergewand aus grober Wolle über. Im Hintergrund des Geschehens liefen die Verhandlungen der Unterhändler weiter. Doch so einfach wollte der Papst nicht einlenken, vielmehr beharrte er auf dem Treffen der Fürsten in Augsburg, mit Heinrichs Widersachern. Papst Gregors Führungsanspruch wäre somit gewachsen.

Heinrichs Berater aber erkannten die Schwäche der päpstlichen Position. Ein bußfertiger Sünder kann auf die Vergebung im Namen Gottes hoffen, kein Priester kann sie ihm verwehren, schon garnicht der Papst selbst.

Papst Gregor empfing Heinrich und seine öffentlichen Demutsbekundungen wurden auf drei Tage festgesetzt. Drei Mal sollte der junge Salierkönig barfuß vor der Festung erscheinen; genau so lange wie der Sünder Saulus gebüßt und gefastet hatte, sollte er nun um Einlass in die Burg und in die Kirche betteln. Der König gehorchte. Er nahm den geforderten Eid an. Seine Diplomaten erreichten, dass er nicht selbst die Hand zum Schwur heben musste. Benno von Osnabrück und andere verbürgten sich, dass Heinrich im Machtkampf mit dem Reichsadel einen Urteilsspruch des Papstes annehmen würde. Am 28. Januar 1077 wurde das Ritual vollendet. Als die Burgpforte geöffnet wurde, warf sich der König mit ausgebreiteten Armen, in Kreuzesform, auf den Boden vor den Papst. Gregor segnete ihn zum Zeichen des neuen Friedens und spendete ihm das Abendmahl. Heinrich hatte durch den Bußgang seine Krone gerettet.

Ostern 1084 wurde Heinrich von Papst Clemens III. zum Kaiser gekrönt. Papst Gregor VII. verstarb im Exil in Salerno.

Heinrich IV. starb 1106 in Lüttich. Sein Leichnam wurde erst Jahre später in die Saliergruft nach Speyer überführt.

Quelle auszugsweise: illustrierte historische hefte 11/78 + geo epoche 10/03